Post-COVID-Krise war gestern. Das McKinsey Global Institute sagt dem E-Commerce bis 2040 weltweit ein jährliches Wachstum von 7 bis 9 Prozent vorher. Damit spielt der Online-Handel in einer Liga mit KI, Elektroautos, Cloud Services oder Biotechnologie. Sie alle zeichnen sich aus durch überdurchschnittliches Wachstum bei Umsatz, Marktanteilen oder Marktkapitalisierung.
E-Commerce, der große Wachstumstreiber: 2022 wäre das noch eine gewagte These gewesen, denn die Zeit nach COVID brachte erst einmal Ernüchterung. Während der Pandemie hatte es der europäische Online-Handel noch geschafft, binnen 24 Monaten sein Wachstum um jährlich 23 Prozent zu erhöhen. Geschlossene Läden, vorgezogene Käufe und höhere verfügbare Einkommen beflügelten die Online-Umsätze. Doch mit der Pandemie endete auch der Höhenflug. Die Inflationsrate stieg, die Kosten auch. Konsumenten und Konsumentinnen zögerten mit Neuanschaffungen. Wettbewerber wie Temu und Shein drängten mit Macht und Kapital in den Markt. Unternehmen wie MyToys und Made.com mussten schließen, Home24 wurde übernommen.
E-Commerce wieder im Aufwind
2024 kam schrittweise die Wende. Der Sinkflug konnte gestoppt werden, obgleich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen weiterhin unsicher sind. Inzwischen liegt der Online-Handelsumsatz sogar über dem Allzeithoch des COVID-Jahres 2021 – Tendenz weiter steigend. Für die kommenden vier Jahre sind nach unseren Analysen europaweit jährliche Wachstumsraten von 8 Prozent zu erwarten (DACH-Region: 6 Prozent). Damit kehrt der Online-Kanal als stärkster Wachstumstreiber des Einzelhandels zurück.
8%
Wachstum pro Jahr werden dem E-Commerce in Europa bis 2028 vorhergesagt, für die DACH-Region sind es 6%.
Wie haben die erfolgreichsten E-Commerce-Anbieter die Wachstumswende geschafft? Eine globale McKinsey-Befragung von 500 Führungskräften aus unterschiedlichen Branchen, darunter Konsumgüter, Elektronik, Mode und Einzelhandel, liefert die Antwort: Sie haben ihre digitale Transformation konsequent vorangetrieben und bauen ihr Geschäft vor allem auf fünf Erfolgsfaktoren auf: Profitabilität, Omnichannel, Plattformen, Technologie und Shopping-Formate.
1. Profitabilität statt Wachstum um jeden Preis
Mehr als 30 Prozent der führenden Unternehmengeben an, dass ihre digitalen Kanäle „sehr viel rentabler“ sind als ihre Offline-Kanäle – fast doppelt so viele wie die Nachzügler. Der Grund: Die Spitzenreiter haben ihr Online-Geschäft technologisch optimiert und setzen auf wirtschaftlich sinnvolle Skalierung. Sie bereinigen kontinuierlich ihre Sortimente und sorgen für einen margenoptimierten Angebotsmix. Sie passen Mindestbestellmengen und Lieferpreis an, senken Lager- und Lieferkosten und trimmen ihr Marketing auf Rendite. Zudem bauen sie eigene Kundendaten auf („First-Party Data“), personalisieren ihr Customer Relationship Management und machen sich unabhängiger von externen Quellen zur Generierung von Reichweite.
2. Omnichannel: Kanalkonflikte auflösen
Kaum jemand kauft mehr ausschließlich über einen Kanal. Deshalb: Stationärer und Online-Vertrieb müssen besser verzahnt werden, um den Menschen ein überzeugendes Einkaufserlebnis zu bieten und sich als Omnichannel-Händler vom reinen E-Commerce zu differenzieren. Sofortige Verfügbarkeit durch Click & Collect, digitale Kundenkarten oder Bestellungen vom Laden nach Hause sind längst in den Alltag der Shopper integriert.

Was aus Kundensicht einfach scheint, schafft intern jedoch noch immer Kanalkonflikte. Das gilt besonders bei der Preispolitik und der korrekten Zuweisung von Umsatz und Kosten zum entsprechenden Vertriebskanal. Führende Unternehmen bekommen diese Herausforderung in den Griff. Sie optimieren den Kauf im Laden und im Internet unter einer Prämisse: der besten Kundenerfahrung. Mehr als 40 Prozent der Marktführer bewerten ihre beiden Verkaufskanäle als gut integriert, 15 Prozent sprechen sogar von exzellenter Verzahnung. Einmal mehr fällt auf: Nur 2 Prozent der Nachzügler bezeichnen die Omnichannel-Integration in ihrem Unternehmen als bereits weit fortgeschritten. Sie beherzigen, was die Marktführer schon implementiert haben. Denn diese organisieren sich produktorientiert und zentralisieren ihre Verwaltung sowie die Koordination ihrer E-Commerce-Aktivitäten über beide Kanäle hinweg. Ihre Kunden und Kundinnen ahnen derweil nichts von der komplexen Organisation und Technik dahinter. Sie freuen sich über den unkomplizierten Kauf – ganz gleich, ob am Smartphone oder im Einkaufscenter.
3. Plattformen: Win-win für alle
OTTO, Douglas, Zalando oder Migros in der Schweiz machen es vor. Sie bauen ihr bereits erfolgreiches Online-Geschäft zu einer Plattform aus und öffnen diese für weitere Anbieter. Konsument:innen auf der Suche nach einer bestimmten Ware merken oft nicht einmal, welcher Anbieter an sie verkauft und die Ware liefert: Suchmaschinenoptimiert landen sie dort mit nur zwei Klicks. Auf den Plattformen der großen Online-Generalisten stammt oft die Hälfte des Sortiments von anderen Händlern. Das breitere Angebot beschert den Generalisten mehr Traffic auf den eigenen Seiten und mehr Kundenkontakte. OTTO hat seinen Online-Vertrieb zudem um Marktplatzfunktionen und Retail Media als zusätzliche, profitable Umsatzquellen ergänzt.
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der führenden Unternehmen sagen, dass ihre digitalen Kanäle deutlich rentabler sind als ihr Offline-Geschäft.
Die Migros-Gruppe erweitert ihr Online-Nonfood-Angebot über die Unternehmenstochter Digitec Galaxus, die erfolgreich digitale Produkte wie IT, Telekommunikation und Unterhaltungselektronik vertreibt. Aktuell expandiert Digitec Galaxus nach Deutschland. Die Liste solcher Marktplätze ist lang. Neben den genannten Unternehmen und Marktführer Amazon gibt es Plattformen in allen Kategorien, angefangen bei Mode (u.a. Zalando, AboutYou) über Beauty (Douglas) bis hin zu Elektronik (Media Markt, Conrad Electronics) und Heimwerkerbedarf (BAUHAUS, OBI). Sie alle haben das ökonomische Potenzial des Marktplatzmodells für sich entdeckt. Denn wer seine Online-Shops für Drittanbieter öffnet, ohne Verkaufsrisiko und Lagerkosten, profitiert nicht nur von der Kommission auf den Verkaufswert (im Schnitt 10 bis 15 Prozent). Es lassen sich auch noch bis zu 10 Prozent für Serviceleistungen wie z.B. Marketing von den Co-Verkäufern verbuchen. Doch eine erfolgreiche Plattformstrategie bedarf konsequenter Vorarbeit. Denn nur Unternehmen, die online bereits eine signifikante Reichweite in einer relevanten Kundengruppe aufgebaut haben, erwecken das Interesse potenzieller Partner. Passt der eine zum anderen, kann sich die Zahl der Kundenkontakte vervielfachen. Conrad Electronics listet allein auf seinem B2B-Marktplatz mehr als zehn Millionen Artikelnummern. In keiner flächengetriebenen Planung wäre das machbar.

Zusätzlichen Umsatz erwirtschaften Online-Marktplätze zudem durch die Bereitstellung von Werbeflächen. Zwar trägt Retail Media nur einen geringen Anteil von 5 bis 10 Prozent zum Außenumsatz (GMV) eines Händlers bei, doch die hohen Margen machen das Geschäft attraktiv. Tatsächlich erweist sich Retail Media als signifikanter Treiber der gegenwärtig noch angespannten Profitabilität vieler Online-Kanäle. Der Run neuer Kunden und Kundinnen auf die eigene Plattform bringt noch ein weiteres Plus mit sich – wertvolle Daten. Online-Händler können die Informationen über neue Nutzende selbst sammeln und analysieren, statt sie teuer über externe Dienstleister einkaufen zu müssen. Diese First-Party-Daten sind die Basis, um Kundenbedürfnisse früher zu erkennen und besser zu verstehen. Mit dem Erkenntnisgewinn daraus lassen sich Preise optimieren, Nachfragetrends vorhersagen und neue Produkte entwickeln. Überdies können die Online-Händler A/B-Tests nutzen, um Produktinnovationen oder Services frühzeitig zu testen oder ihr Shop-Marketing zu personalisieren. Unternehmen wie Zara beispielsweise kombinieren Kundendaten und demografische Informationen, um personalisierte Landingpages aufzusetzen; Amazon und viele andere nutzen sie für personalisierte Produktempfehlungen. Und der wachsende Datenpool der Plattformen lässt sich noch weiter monetarisieren. Die über die Plattformen generierten Kundenerkenntnisse sind den Anbietern auf den Marktplätzen daher einiges wert.
4. Technologie: Investieren in die Zukunft
Der Technologieeinsatz der besten Anbieter beschränkt sich nicht allein auf Kundenanalysen. Fest steht schon heute: Die nächste Generation E-Commerce wird anders aussehen – im Webshop selbst, aber auch in Marketing, Operations, Sortiments- oder Preisgestaltung. Technologischer Vorsprung wird zum strategischen Wettbewerbsvorteil. Spitzenunternehmen nutzen ihn als Quelle ihrer Marktpositionierung. Was im Umkehrschluss bedeutet: Technische Infrastruktur ist nicht mehr allein Sache der IT-Abteilung. Das erklärt auch, warum fast 20 Prozent der global führenden Unternehmen unserer Analyse zufolge planen, mehr als 100 Millionen US-Dollar in die technologische Infrastruktur ihres E-Commerce zu investieren. Bei den Nachzüglern sind es weniger als die Hälfte: gut 8 Prozent.

Was aber machen die Herausforderer anders als die etablierten Unternehmen? Sie setzen z.B. auf sichtbare Innovationen wie die auffällige Cloud-Tec-Sohle der On-Laufschuhe. Sie legen den Fokus zunächst auf klar abgegrenzte Kategorien, wie Lululemon mit speziell auf Frauen ausgerichteter Sportbekleidung. Und sie beherrschen die Kunst des Cultural Marketings, bei dem die Maßnahmen exakt auf die Bedürfnisse bestimmter Gruppen zugeschnitten sind. Hierauf setzt z.B. Deckers-Tochtermarke Hoka, die mit Lauf-Clubs kooperiert.
Ähnlich wie Vorreiter Amazon bauen die führenden Unternehmen ihre technische Infrastruktur für den Online-Handel auf, indem sie sich von der traditionellen monolithischen Architektur lösen. Stattdessen verfolgen sie einen „Best of“-Ansatz aus modularen Microservices und API-fähigen, cloudbasierten SaaS-Lösungen sowie Benutzeroberflächen, die von den Back-End-Systemen entkoppelt sind. Voraussetzung hierfür ist die Entwicklung eines Tech-Stacks, der aus skalierbaren und austauschbaren Elementen besteht, die kontinuierlich verbessert werden können. Dieser „Headless“-Ansatz wird umso wichtiger, je stärker das E-Commerce-Angebot wächst. Die Umstellung auf eine moderne technische Infrastruktur ist ein entscheidender Schritt zur schnelleren Skalierung, aber auch zu mehr Flexibilität, sobald sich die Anforderungen ändern. Zugleich sorgt sie für eine kontinuierliche Verbesserung des Angebots, etwa durch die rasche Anpassung an neue Produkte, Regionen oder Tech-Anbieter.
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20%
der führenden E-Commercer investieren mehr als 100 Mio. US-Dollar in ihre Tech-Infrastruktur.
Parallel zur Transformation der IT-Basis rückt das Zukunftsthema generative künstliche Intelligenz (GenAI) in den Fokus: Über 60 Prozent der führenden Unternehmen wollen ihren Online-Kanal gezielt mit den smarten Tools aufrüsten, 20 Prozent erklären GenAI-Einsätze sogar zu ihrer obersten Priorität im E-Commerce. Und sie sind bereit, dafür Geld in die Hand zu nehmen. 30 Prozent von ihnen wollen in den kommenden zwölf Monaten über ein Zehntel ihres E-Commerce-Budgets in KI-Anwendungen investieren. Gut jeder zehnte Champion plant sogar, mehr als ein Viertel seiner E-Commerce-Ausgaben umzuschichten. Von den Nachzüglern hingegen wollen weniger als 10 Prozent verstärkt in KI investieren.
5. Shopping-Formate: Showtime mit Mehrwert
Einkaufen als Event ist längst nicht mehr dem stationären Handel vorbehalten. Das geht auch online. Aktionstage wie Black Friday oder Single’s Day gehören für Schnäppchenjäger inzwischen zur jährlichen Shopping-Routine. Amazon trommelt außerdem für seine sommerlichen Prime Days, Vorwerk ruft die „Kobold summer week“ aus und Notebooksbilliger seine „Orange Flash Sale Days“. Media Markt/Saturn lockt die Kundschaft mit „Special Deals“. Der Wert der virtuellen Shopping-Events lässt sich quantifizieren. Für über 40 Prozent der führenden Unternehmen machen sie bereits mehr als 10 Prozent des jährlichen E-Commerce-Umsatzes aus. Trotzdem nutzt ein Viertel der Nachzügler diese Erlösquelle nicht. Sie verpassen während der Aktionsschwerpunkte im Sommer und am Jahresende eine große Chance zur Kundengewinnung – ganz besonders zu Beginn des Weihnachtsgeschäfts: Laut einer aktuellen Marktumfrage gehen mehr als acht von zehn Deutschen während der Black Week im November gezielt shoppen – und geben dabei im Schnitt über 250 Euro aus.

Auch abseits der saisonalen Rabattaktionen spielt Erlebnisshopping eine zunehmende Rolle bei der Kundengewinnung und -bindung im Netz. Bereits seit einigen Jahren veranstaltet Kosmetikhändler Douglas regelmäßige Live-Commerce-Events samt beteiligten Influencern auf der eigenen Website. Bis zu 15 Shows pro Woche streamt die Handelskette im Internet und bietet dort auch gleich exklusive Deals und Tutorials mit Beauty-Expertinnen an. So entstehen nicht nur interaktive Verkaufserlebnisse, über die Nutzende sprechen. Die „Live Customers“ geben dabei auch doppelt so viel Geld aus im Vergleich zu gewöhnlichen Online-Shoppern. Gleichzeitig konnte Douglas den Anteil der jungen Zielgruppe in seinem Online-Kanal um 14 Prozent steigern.
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ihres Online-Jahresumsatzes generieren führende Händler durch Shopping-Formate.
US-Analysen von McKinsey belegen: Die lukrativsten Kundengruppen sind jünger als 40 Jahre. Vor dem Erfolg steht auch hier harte Arbeit. Live-Events brauchen sorgfältige Vorbereitung. Partnerschaften werden aufgebaut, Werbeaktionen gestartet, entsprechende Lagerbestände vorgehalten und Mitarbeitende trainiert. Dazu gehört der Aufbau einer ausreichenden Datenbasis für A/B-Tests, die Installierung der richtigen Analysemethoden zur Anpassung von Angeboten und die Einrichtung von Schnellreaktionssystemen – etwa um sofort nach dem Kontakt personalisierte E-Mails zu versenden. Die führenden Unternehmen haben für diese Aufgaben bereits intern digitale Kompetenzen aufgebaut, während die Nachzügler noch mehrheitlich auf externe Anbieter zurückgreifen.
Erfolg im E-Commerce: Was es noch braucht
Die hier beschriebenen fünf Handlungsfelder zeigen: Erfolg im E-Commerce ist kein Selbstläufer. Einzelhändler müssen erst ihre Hausaufgaben machen, bevor sie im Online-Kanal wirklich profitables Wachstum erreichen. Gefordert ist eine grundlegende Transformation auf organisatorischer und operativer Ebene. Diese beginnt mit klar definierten und kommunizierten Zielen und deren Untermauerung mit einem konkreten Maßnahmenplan über alle Funktionen hinweg. Gleichzeitig sind bestimmte Voraussetzungen zu schaffen: die klare Zuordnung von Umsätzen, Kosten und Erträgen zu den einzelnen Kanälen, Aufbau von neuen Fähigkeiten und Partnerschaften sowie umfassende Investitionen in eine moderne Tech-Infrastruktur.
Intern erfordert die Transformation dann die aktive Mitwirkung der gesamten Organisation, angefangen beim Topmanagement, das die Ziele und die strategische Richtung vorgibt, bis zu den operativen Teams, die funktionsübergreifend zusammenarbeiten, um das Online-Geschäft zum Erfolg zu führen.