Die Macht der Agenten

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Immer mehr Unternehmen im Konsumgüter- und Einzelhandelssektor erkennen das enorme Potenzial der künstlichen Intelligenz, Kundenerlebnisse zu transformieren, Wachstum zu fördern und die Produktivität zu steigern. Viele befinden sich gerade irgendwo zwischen Pilotierung und Skalierung von smarten Tools in ihrer Organisation. Mehr als zwei Drittel nutzen vor allem generative KI (GenAI) bereits regelmäßig in mindestens einer Geschäftsfunktion. Gegenüber anderen Branchen haben Konsumgüterhersteller und Händler allerdings noch Aufholbedarf beim breitflächigen Einsatz über alle Funktionen hinweg. Dabei wartet die nächste Entwicklungsstufe schon darauf, beschritten zu werden: Agentic AI, auch bekannt als agentische oder handlungsfähige KI, steht kurz davor, die Branche zu revolutionieren.

70%

Zeitersparnis brachten KI-Agenten bei der Modernisierung einer IT-Applikation.

Was genau ist Agentic AI, wie verändert sie das Konsumgütergeschäft und wie lassen sich KI-Agenten in die Organisation integrieren? Und: Welches Produktivitätspotenzial steckt wirklich in der neuen Technologie? Die folgende Reise durch die Welt der KI-Agenten liefert die Antworten.

Die Zukunft mit Agentic AI – viel mehr als nur Automatisierung

Künstliche Intelligenz hat sich binnen kürzester Zeit vom zeitsparenden Werkzeug zum autonom agierenden Manager und Experten entwickelt. Denn Agentic AI kann mehr als alle KI-Anwendungen vor ihr: Das System trifft eigenständige Entscheidungen, meistert komplexe Aufgaben und passt seine Arbeitsweise basierend auf Feedback an. Mit diesen Fähigkeiten hat Agentic AI das Potenzial, den Unternehmensbetrieb radikal zu verändern, indem das System ganze Workflows übernimmt und menschliches Eingreifen auf ein Minimum beschränkt. Eigenständig koordiniert es funktionsübergreifende Aktivitäten – von Marketing über Lieferkettenmanagement bis hin zum Kundenservice. Ein KI-Agent könnte in Zukunft z.B. als persönlicher Assistent fungieren und eine Geschäftsreise von Anfang bis Ende managen, indem er auf Kalenderdaten, persönliche Präferenzen und vergangene Reisen zugreift. Er erstellt einen Plan und sucht zunächst nach Flügen, Verkehrsmitteln und Hotels. Dabei vergleicht er Optionen auf Basis von Kosten, Komfort sowie Treueprogrammen und passt den Reiseplan bei Bedarf entsprechend an. Anschließend führt er autonom die Buchungen durch und protokolliert alle Details im Reise- und Spesensystem. Verschiebt sich ein Meeting oder verspätet sich ein Flug, nimmt er neue Buchungen vor und informiert alle Beteiligten. Hier werden Arbeiten nicht einfach nur automatisch ausgeführt – vielmehr wird ein ganzes Aufgabenpaket an einen kompetenten digitalen Mitarbeiter delegiert.

In seiner fortschrittlichsten Form informiert ein KI-Agent nicht nur Händler oder Supply-Chain-Manager über einen Lagerengpass oder plötzlich steigende Nachfrage. Er ist auch in der Lage, Probleme selbst zu lösen. Dafür entwirft der Agent die Lösung selbstständig in mehreren Schritten, analysiert die verfügbaren Tools und beginnt mit der Ausführung, indem er z.B. Produkte nachbestellt, Lagerbestände umverteilt oder eine Kampagne neu ausrichtet. Die Ergebnisse bewertet er iterativ nach jedem Schritt. Der Agent eskaliert das Problem nur dann an Mitarbeitende, wenn eine Situation zu komplex wird oder regulatorische, risikobezogene oder technische Hürden auftreten. Dies entlastet die Angestellten und verschafft ihnen Zeit, die sie für innovative und strategische Arbeiten einsetzen können.

Warum KI-Agenten anders sind

Was genau ist es, das Agentic AI zu solchen Leistungen befähigt? Im Grunde beruhen die Fähigkeiten von KI-Agenten auf drei wesentlichen Eigenschaften: Autonomie, Interaktion mit anderen Systemen und menschliche Kommunikation.

Autonomie. KI-Agenten folgen nicht nur vordefinierten Regeln, sondern können auch in Bereichen agieren, in denen sich vorab kein fester Handlungsablauf festlegen lässt. Ein Händler, der z.B. die aktuellen Verkaufsdaten untersucht, wird seine Analysearbeit dynamisch an neuen Erkenntnissen ausrichten, anstatt einem Routineablauf zu folgen. Agentic AI kann diese Arbeit übernehmen, indem sie Aufgaben plant, über ein Netzwerk weiterer Agenten verteilt, diese schrittweise ausführt und sie kontinuierlich an Echtzeit-Feedback und neue Informationen anpasst.

Interaktion mit anderen Systemen. KI-Agenten sind nicht auf ihren programmierten Wissenskorpus beschränkt – sie können mit der Außenwelt interagieren: Sie suchen im Internet, greifen auf die digitalen Systeme in der Organisation zu oder stimmen ihre Ergebnisse mit anderen Agenten ab. Ein Beispiel: Als steigende Rohstoffkosten Verhandlungen mit einem Lieferanten erfordern, beauftragt der Einkaufsmanager eines Einzelhandelsunternehmens seinen KI-Agenten damit, eine optimale Verhandlungsstrategie zu entwickeln. Dieser nutzt die KI-Tools der Organisation, etwa für Preisgestaltung, Promotionen und Sortimentsoptimierung, und verhandelt gegebenenfalls sogar direkt mit dem KI-Agenten des Lieferanten.

Kommunikation mit allen. Bisher erforderte die Automatisierung von Geschäftsabläufen meist das Zerlegen in Regeln und aufwendiges Programmieren. Dieser Prozess ist kostspielig, zeitintensiv und setzt eine enge Zusammenarbeit zwischen IT- und Geschäftsfunktionen voraus. Im Gegensatz dazu erlaubt Agentic AI allen Nutzenden, KI-Agenten direkt zu instruieren, denn diese verstehen menschliche Sprache aufgrund der Large Language Models, die ihnen zugrunde liegen. Entsprechende Tools und Nutzerschnittstellen entstehen gerade durch große Cloud-Dienste (Hyperscaler), innovative Start-ups und Eigenentwicklungen. Dies beschleunigt die Automatisierung und senkt die Hürden für ihre Einführung. Da sie zudem in natürlicher Sprache kommunizieren, können Nutzende nachvollziehen, wie die Agenten arbeiten, anstatt sich auf intransparente Systeme verlassen zu müssen. Mit diesen Fähigkeiten könnte Agentic AI für Organisationen die KI-Anwendung mit dem bislang größten Transformationspotenzial werden. Indem sie nicht nur repetitive Arbeiten abnimmt, sondern auch Probleme löst und Entscheidungen beschleunigt, verbessert sie die Produktivität der Mitarbeitenden, das operative Tempo und das Kundenerlebnis – und kann damit nachhaltig positiv auf Umsatz und Gewinn des Unternehmens einwirken.

Vom Co-Piloten zum Piloten – was Agentic AI verändert

Generative KI hat bereits Assistenzsysteme in Form von Co-Piloten hervorgebracht, die bei der Erstellung von Inhalten, der Bündelung von Informationen und der Ideenfindung unterstützen. Co-Piloten automatisieren zudem Aufgaben, koordinieren systemübergreifend und erledigen strukturierte Arbeitsabläufe. Beispielsweise erstellen sie eigenständig Finanzberichte, führen Promotion-Simulationen durch oder unterstützen den Kundendienst mit dynamischen Antworten. Das nächste Level geht jedoch weit darüber hinaus. Agentic AI hat das Potenzial, die heutigen Co-Piloten zu echten „Piloten“ digitaler Workflows weiterzuentwickeln, die autonome Entscheidungen treffen, sich in Echtzeit anpassen und bereichsübergreifend zusammenarbeiten – ohne ständige menschliche Überwachung. Diese KI-Agenten werden proaktiv Chancen und Risiken identifizieren, Maßnahmen koordinieren und ihre Leistung durch kontinuierliches Lernen verbessern.

Abhängig vom Ausgangspunkt und der Strategie des jeweiligen Unternehmens kann Agentic AI so in den nächsten drei Jahren zentrale Funktionsbereiche einer Organisation grundlegend verändern – vom Category Management über Marketing und Operations bis zur IT-Infrastruktur. Der Lohn sind mehr Wertschöpfung, schnellere Prozesse und eine größere Nähe zu Kundinnen und Kunden – insbesondere zu solchen, die zuvor unerreichbar waren. Die folgenden Zukunftsszenarien zeigen das Potenzial.

Szenario 1: Neudefinition des Category Managements

Die periodische, menschengesteuerte Planung im Category Management wird zu einem kontinuierlichen, KI-gesteuerten Prozess. KI-Agenten überwachen Marktbewegungen, identifizieren Performancelücken und nehmen Eingriffe bei Preisgestaltung, Sortiment oder Warenpräsentation vor. Agentic AI kann beispielsweise die Preisänderung eines Wettbewerbers erkennen, mögliche Auswirkungen auf die Nachfrage simulieren und die eigene Preis- oder Promotionstrategie in Echtzeit anpassen. Sie kann Sortimente auf lokale Nachfragen ausrichten oder die Nachschubmengen über Nacht anpassen, um einem veränderten Verbraucherverhalten Rechnung zu tragen. Möglich wird dies durch ein Ensemble von KI-Agenten, die kontinuierlich Analysen durchführen, Hunderte von Hypothesen testen und Maßnahmen ergreifen. Dank des vollen Zugriffs auf Live-Geschäftsdaten nehmen sie eine ganzheitliche Expertensicht ein. Dabei handeln sie stets im Einklang mit den KI-Richtlinien eines Unternehmens, während Mitarbeitende die KI-Empfehlungen im Falle komplexerer Entscheidungen und bei Abweichungen von der Policy überprüfen, genehmigen oder anpassen. Dieser Übergang zu einem stets aktiven, sich selbst optimierenden Category Management kann zu erheblichen Verbesserungen der Reaktionsfähigkeit führen und die Margen steigern.

Binnen

3

Jahren kann Agentic AI zentrale Unternehmensfunktionen grundlegend verändern.

Szenario 2: Neugestaltung des Kundenerlebnisses

KI-Agenten werden die Art und Weise verändern, wie Verbraucher:innen mit Einzelhändlern oder D2C-Kanälen von Herstellern interagieren – weg von statischen Schnittstellen hin zu dynamischen, personalisierten Erlebnissen. So existiert bereits ein agentischer Einkaufsassistent, der weit über traditionelle Such-, Filter- und Empfehlungsfunktionen hinausgeht. Der Wunsch einer Kundin könnte etwa lauten: „Hilf mir, eine Grillparty für zehn Personen am Wochenende für unter 250 Euro zu planen.“ Der Agent erstellt daraufhin selbstständig ein geeignetes Menü, sucht Rezepte, prüft Ernährungseinschränkungen und füllt den Warenkorb mit passenden Produkten, wobei er Präferenzen, Aktionen, Treuevorteile und Lagerverfügbarkeiten berücksichtigt. Im Fall von Lagerengpässen, Preisänderungen oder bei Kundenfeedback („Ersetze durch glutenfreie Produkte“) kann der KI-Agent den Warenkorb modifizieren und nach der Bestellung sogar die Lieferung planen. Mit der Zeit kennt er die Konsumvorlieben eines Haushalts und passt seine Empfehlungen daran an – so werden Warenkorbgröße, Konversionsrate und Kundenbindung weiter erhöht. Die proaktive, kontinuierliche Ausrichtung auf die Verbraucherwünsche markiert einen Paradigmenwechsel im Kundenerlebnis und steigert sowohl die Zufriedenheit als auch den Umsatz. Künftig könnten Konsument:innen sogar ihre eigenen Agenten erstellen. Man denke nur an ein Zukunftsszenario, in dem der KI-Agent einer Kundin direkt mit dem Agenten im Handel kommuniziert – ganz ohne menschliche Intervention.

Szenario 3: Ende des Massenmarketings, wie wir es kennen

Traditionelle Werbung basiert auf breiten Segmentierungen und zyklischen Kampagnen. Agentic AI ermöglicht hingegen maßgeschneidertes Marketing zu jeder Zeit durch intelligente, automatisierte Orchestrierung. Während generative KI personalisierte Inhalte in großem Maßstab erstellt, unterstützt Agentic AI den gesamten Kampagnenlebenszyklus. Auch hier kann ein Netzwerk von KI-Agenten zusammenarbeiten: Ein Agent überwacht z.B. Kundenverhalten, Kaufmuster und Stimmungsdaten, um Momente zu finden, in denen Verbraucher:innen besonders handlungsbereit sind – etwa beim Durchstöbern einer neuen Produktkategorie oder bei der Betrachtung eines Wettbewerberangebots. Ein anderer Agent erstellt personalisierte Inhalte via E-Mail oder In-App-Nachrichten in markenkonformer Sprache. Ein weiterer führt A/B-Tests in Mikrosegmenten durch, um die Konversion zu erhöhen, während wieder ein anderer eigenständig Kampagnen realisiert und sie basierend auf der beobachteten Performance kontinuierlich anpasst. Ein solcher Ansatz ermöglicht den Übergang von der manuellen Kampagnenplanung zu autonomer, erkenntnisgetriebener Umsetzung. So können Marketingteams personalisierte Erlebnisse im großen Stil schaffen und zugleich Kapazitäten freisetzen, um sich der Entwicklung von Kreativstrategien, dem Aufbau ihrer Marken und der langfristigen Steigerung des Kundenwerts zu widmen.

Szenario 4: Umgestaltung von Betrieb und Lieferkette

Klassische digitale Tools im Bereich Operations und Supply Chain Management konzentrieren sich meist auf lineare Prozesse, z.B. die automatisierte Auftragserfassung oder das Workflow-Management. Lieferketten sind jedoch selten linear – häufig kommt es zu unerwarteten Ereignissen wie Nachfragespitzen, Logistikverzögerungen oder Lieferantenausfällen. Agentic-AI-Systeme hingegen können der Dynamik Rechnung tragen, indem sie Lagerbestände, Transitzeiten oder Marktnachfragesignale überwachen, Szenarioanalysen durchführen und eigenständig End-to-End-Lösungen umsetzen. Ein KI-Agent erkennt z.B. einen potenziellen Lagerengpass, checkt alternative Vertriebszentren auf Backup-Bestände, handelt mit einem Logistikanbieter eine schnellere Lieferung aus und schickt aktualisierte Prognosen an Lagerhäuser. Einige Einzelhändler arbeiten bereits an der Entwicklung von Filialagenten. Mit dem Eintritt von Agentic AI in die materielle Welt könnten intelligente Roboter die nächste Generation physischer KI einläuten und den Weg ebnen für noch stärker automatisierte Lager und Filialen.

Szenario 5: Optimierung von Verwaltung und Kundenservice

Über die genannten Beispiele hinaus birgt Agentic AI ein enormes Potenzial, Support-Funktionen zu optimieren. KI-Agenten können zeitintensive Aufgaben übernehmen und z.B. Berichte erstellen, funktionsübergreifende Geschäftsanalysen durchführen und Workflows systemübergreifend koordinieren. Das setzt bei den Teams Kapazitäten frei für höherwertige Tätigkeiten. Im Kundenservice besteht die Möglichkeit, dass Frontline-Agenten eine Vielzahl von Anfragen autonom bearbeiten und Probleme lösen, wobei nur die komplexesten Fälle an Mitarbeitende eskaliert werden. Zusammen stehen diese Anwendungen für einen grundlegenden Wandel, der die Arbeitseffizienz im Backoffice und die Qualität von Kundenservices auf ein neues Niveau hebt.

Szenario 6: Modernisierung des Tech-Stack

Die Modernisierung des Tech-Stack, der unternehmenseigenen IT-Infrastruktur, stellt derzeit eine der größten und drängendsten Aufgaben für etablierte Einzelhändler dar. CEOs stehen daher oft vor der Frage, ob sie sich auf die Runderneuerung ihrer Systeme konzentrieren oder innovative Vorhaben wie die Einführung von KI-Agenten priorisieren sollen. Tatsächlich können – ja sollten – sie das eine tun, ohne das andere zu lassen: Denn Agentic AI ist auch in der Lage, die Modernisierung von Altsystemen zu vereinfachen und zu beschleunigen, indem sie als aktiver Mitentwickler fungiert und aufwendige Prozesse wie Code-Generierung und -Übersetzung, Tests sowie die Bereitstellung neuer Technologien mit minimalem menschlichen Einsatz automatisiert.

Jetzt starten – aber wie?

Die Einführung von KI-Agenten in ausgewählten Geschäftsfunktionen ist nur der Anfang – die eigentliche Herausforderung ist die Skalierung von Agentic AI in der gesamten Organisation. Durch gezielten Einsatz der heute verfügbaren Technologien lässt sich das volle Potenzial im Unternehmen entfalten – Schritt für Schritt, Bereich für Bereich. Zum richtigen Start empfehlen sich die folgenden vier Maßnahmen:

68%

der Unternehmen nutzen GenAI bereits in mindestens einer Geschäftsfunktion.

Ambitionierte Vision entwickeln. Ein klar definierter „Nordstern“ – eine ambitionierte Zielsetzung – dient als Orientierungspunkt: Ein solches Ziel kann z.B. die Automatisierung von 50 Prozent der aktuellen Tätigkeiten binnen zwei Jahren sein, die Vermeidung zusätzlichen Personalbedarfs für Bürotätigkeiten oder die Verdopplung des Outputs durch den Einsatz von KI-Agenten. Dafür sind verschiedene Fragen zu klären: Welche Bereiche können automatisiert oder durch KI unterstützt werden? Wie verändert der KI-Einsatz die Prozesse? Was bedeutet das für den Talentbedarf, auch im Hinblick auf die Interaktion zwischen Mensch und Maschine? Welche Daten, Teams und Zusatzqualifikationen sind erforderlich? Wie verändert sich das Geschäftsmodell und welche neuen externen Abhängigkeiten entstehen? Der Nordstern sollte dabei stets konkrete ökonomische Ziele vorgeben, etwa in den Bereichen Kundenerfahrung, Time to Market, Kosten oder Umsatzwachstum. Klare Priorisierung und der Start in ausgewählten Funktionen schaffen die Grundlage für nachhaltigen Erfolg.

„Agentenfabrik“ einrichten. Ausgehend von den gesteckten Zielen können funktionsübergreifende Teams in einer „Agentenfabrik“ damit beginnen, Agentic AI in der Organisation einzuführen. Die enge Verknüpfung von Fachbereichen und Technologie spielt dabei eine zentrale Rolle. Innovationen wie das Vibe Coding, bei dem KI-gestützte Tools genutzt werden, um aus natürlichen Sprachaufforderungen Codes zu generieren, haben die Entwicklung von KI-Agenten stark vereinfacht, sodass sie auch für Geschäftsfunktionen umsetzbar sind. Zum Start können die Agenten zunächst kleinere Workflows automatisieren und so schnell Mehrwert schaffen. Mit wachsenden Technologie- und Datenkompetenzen lassen sich dann komplexere Arbeitsabläufe angehen – stets mit Blick darauf, die Agenten verantwortungsvoll und wertorientiert einzusetzen. KI-Agenten und Menschen zusammenführen. Entscheidungsprozesse sollten so umgestaltet werden, dass KI-Agenten sich als virtuelle Teammitglieder mit einbeziehen lassen. Zu klären ist hier, welche Entscheidungen vollständig von der KI übernommen werden können und wo Menschen für Freigaben oder Ausnahmeregelungen notwendig sind. Dabei ist das sogenannte „Gesetz von Conway“ zu beachten: Bilden KI-Agenten lediglich die bestehende menschliche Organisation nach, ist ihr Potenzial stark beschränkt. Es gilt, klare Leitlinien für die KI festzulegen, die den Akzent auf Transparenz und Verantwortlichkeit legen. Mitarbeitende müssen jederzeit eingreifen können, wenn Vorgänge von der Norm abweichen. So übernehmen KI-Agenten z.B. Entscheidungen und dokumentieren diese mit einem Prüfprotokoll oder einer Begründung; Menschen behalten weiterhin die ethische Aufsicht und bestimmen die strategische Ausrichtung.

Hybride Belegschaft entwickeln. Übernimmt eine KI repetitive Aufgaben, verschiebt sich der Fokus der menschlichen Belegschaft auf höherwertige Tätigkeiten. Dies erfordert Investitionen in die Weiterbildung und Umschulung. Dabei können neue Rollen entstehen, z.B. Spezialistinnen, die KI-Agenten trainieren, Data Engineers, die für qualitativ hochwertige Datenflüsse sorgen, oder KI-Ethikerinnen und Risikomanager, die Algorithmen überwachen. Für den Erfolg der neuen Technologie spielt Akzeptanz eine zentrale Rolle. Die menschlichen Mitarbeitenden sollten KI als digitalen Partner betrachten, der ihnen Freiräume für kreative, strategische und beziehungsorientierte Aufgaben verschafft. Dabei gilt es, Mechanismen zu entwickeln, die den Agenten ermöglichen, aus Geschäftsergebnissen und menschlichem Input kontinuierlich zu lernen. Aufgabe der Führungskräfte ist es, die Interaktion zwischen KI-Agenten und Menschen, die Verantwortlichkeiten für Ergebnisse sowie die Struktur der hybriden Belegschaft klar zu definieren.

Erfolgsgeschichten aus der Praxis

So wichtig die vorbereitenden Schritte zur Skalierung sind – letztlich entscheidend ist es, ins Handeln zu kommen, wie Holger Hürtgen und Andreas Ess, Leiter des KI-Zweigs QuantumBlack von McKinsey, betonen. Banken nehmen hier eine Vorreiterrolle ein, da sie aufgrund ihrer komplexen IT-Infrastrukturen und der Notwendigkeit, große Datenmengen effizient zu verwalten, besonders von KI-gestützten Lösungen profitieren. So hat ein dreiköpfiges QuantumBlack-Team bei einer Bank über 100 KI-Agenten implementiert, um die Tech-Modernisierung des Unternehmens voranzutreiben. Die Bank besaß eine Vielzahl von Altsystemen mit rund 2,5 Millionen Zeilen Code. Das traditionelle Vorgehen, den Legacy-Code durch Entwickler manuell zu übersetzen, war praktisch nicht realisierbar, da es zu zeit- und kostenintensiv gewesen wäre. Mithilfe der Agenten hingegen wurde die erste Applikation innerhalb von nur vier Monaten übersetzt. Dies brachte eine Zeitersparnis von 70 Prozent bei der Modernisierung der Anwendung, Unit-Tests eingeschlossen. Auch bei anderen Unternehmen setzt Quantum-Black agentische KI-Tools ein, die weit über einfache Coding-Co-Piloten hinausgehen. Etabliert werden ganzheitliche Prozesse von der Idee bis zur Implementierung (i2i), die die Softwareentwicklung künftig auf ein neues Level heben werden.

Wertschaffung als Wettbewerbsvorteil

Die Anwendungserfolge zeigen: Das produktive Potenzial von Agentic AI wird immer evidenter. Auch die Ergebnisse der „State of AI“-Umfrage von McKinsey sowie erste Pilotprojekte in Bereichen wie Softwareentwicklung, administrative Automatisierung und Kundeninteraktion belegen: Diese Technologie ist in der Lage, Wachstum, Produktivität und Kundenzufriedenheit gleichzeitig zu fördern. Angesichts der aktuell unsicheren makroökonomischen Lage wächst zudem der Druck, mit begrenzten Ressourcen mehr zu erreichen. Der zusätzliche Wertschöpfungseffekt von Agentic AI wird hier zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Diesen Mehrwert zu erschließen, erfordert ein koordiniertes Zusammenspiel aller Führungssparten, verankert in einem klaren Mandat des CEO. Die Integration von Agentic AI in die Geschäftsbereiche erfolgt dann in vier konkreten Schritten: Zunächst gilt es, Transparenz zu schaffen über die wichtigsten Aktivitäten in der Wertschöpfungskette, den Arbeitsanteil sowie die generierten Kosten und Einnahmen. Im zweiten Schritt werden die Aktivitäten anhand ihrer Wirkung und Machbarkeit priorisiert. Anschließend gehen funktionsübergreifende Teams daran (idealerweise gesteuert und unterstützt durch ein KI-Kompetenzzentrum), Arbeitsabläufe und Operating Models rund um die agentischen KI-Fähigkeiten neu zu gestalten. Vierter und letzter Schritt ist ein konsequentes Change Management, das hilft, Produktivitätsgewinne freizusetzen und nachhaltig zu sichern.

Handelsunternehmen, die sich in eine solche Transformation begeben, stehen häufig vor der Herausforderung, den Return on Investment (ROI) ihrer Aktivitäten klar zu belegen. Denn trotz steigender Technologieausgaben bleibt der konkrete Nutzen solcher Investitionen oft schwer greifbar. Der Schlüssel liegt darin, den Nordstern strikt an messbaren Resultaten auszurichten, etwa an Produktivitätssteigerungen, verbesserten Mitarbeiter- und Kundenerfahrungen oder höheren Umsätzen. Agentic AI bietet die einzigartige Chance, dieses Wertpotenzial in großem Umfang zu realisieren. Jenseits von inkrementellen Effizienzgewinnen kreiert sie ein grundlegend neues Operating Model, getragen von autonomen digitalen Mitarbeitenden. Angesichts zunehmender Disruptionen im Markt wird dieser Wandel für viele Unternehmen unausweichlich. Wer jetzt mit der Einführung zögert, läuft Gefahr, in den nächsten drei bis fünf Jahren den Anschluss zu verlieren. Organisationen hingegen, die entschlossen vorangehen und es verstehen, ihre Ziele mit der Umsetzung in Einklang zu bringen, können sich mithilfe von Agentic AI langfristige Wettbewerbsvorteile sichern.

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