Die europäischen Hersteller von Nutzfahrzeugen stehen vor großen Herausforderungen, um den Hochlauf der emissionsfreien Mobilität erfolgreich zu gestalten. Zwar haben europäische Hersteller mit knapp 50 schon heute erhältlichen Nutzfahrzeugmodellen ein umfassendes Portfolio im Angebot – allerdings hinkt die Ladeinfrastruktur deutlich hinterher. Nur 2,000 öffentliche Ladepunkte für Trucks sind europaweit verfügbar. Es müssten jedoch 50,000 Ladepunkte – Faktor 25 – bis 2030 gebaut werden, damit der Übergang zu Nullemissionstrucks gelingt. Zudem entfallen heute erst rund 30% der Verkäufe von Nullemissions-Nutzfahrzeugen in Segmente, die bei ihren Gesamtbetriebskosten auf dem Niveau herkömmlicher Dieseltrucks liegen - vor allem im Verteiler- oder Hub-zu-Hub-Langstreckenverkehr. Die aktuelle Geschwindigkeit des Umstiegs auf batterieelektrische Trucks reicht noch nicht aus: Die Branche könnte die angestrebte CO2-Reduktion um 43% im Vergleich zu 2019 um mindestens 3 Prozentpunkte verfehlen, Strafzahlungen von über 2,2 Mrd. Euro könnten 2030 auf die Branche zukommen. Dies geht aus der Studie „Europe’s ZEV truck transition“ der Unternehmensberatung McKinsey & Company hervor. Für die Analyse wurden unter anderem knapp 300 Betreiber in Europa befragt.
Ladeinfrastruktur und Gesamtbetriebskosten noch nicht wettbewerbsfähig
„Die europäische Nutzfahrzeugindustrie kann den Übergang in Richtung Nullemissionen schaffen – und damit nicht nur die regulatorischen Vorgaben erfüllen, sondern auch ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken. Denn: Die Nutzfahrzeughersteller haben ein vielfältiges Angebot an Nullemissionstrucks aufgebaut“, sagt Matthias Kässer, Partner bei McKinsey und Leiter der Nutzfahrzeugberatung in EMEA. Seit 2020 haben europäische Hersteller ihre Forschungs- und Entwicklungsbudgets um mehr als 50% gesteigert auf über 7 Milliarden Euro. Kässer: „Damit der Übergang gelingt, gilt es, den Ausbau der Ladeinfrastruktur massiv zu beschleunigen sowie die Gesamtbetriebskosten für die Betreiber zu senken, damit diese Trucks auch im Markt ankommen.“ Nach McKinsey-Analyse werden bis 2030 ein Großteil der Ladeinfrastruktur in privaten Depots entstehen. Hier könnten vor allem Verteilerfahrzeuge auf kürzeren und gut planbaren Routen geladen werden, vorrangig über Nacht. Allerdings reicht ein Ausbau nur in Depots nicht aus, um die CO2-Ziele zu erreichen. Hierfür ist auch eine Elektrifizierung der Langstrecke mit öffentlicher Ladeinfrastruktur notwendig, denn 50% aller Nutzfahrzeuge werden diese Ladesäulen nutzen. Bis 2030 müssten hier allein 3,5 Mrd. Euro investiert werden. Heute sind nur 2-3% aller 300-kW-Schnelladesäulen in Europa für Trucks geeignet. Falls wasserstoffbasierte Nutzfahrzeuge im Nutzungsmix eine Rolle spielen, müsste die Zahl der Wasserstoff-Tankstellen von heute 200 in Europa auf über 1,000 wachsen.
41% der Spediteure grundsätzlich offen für chinesische Angebote
Ein weiterer wichtiger Faktor sind die Gesamtbetriebskosten: Schätzungsweise 30% der verkauften batterieelektrischen Lkw sind aus Segmenten, in denen die Betriebskosten heute niedriger liegen als für ihre Verbrenner-Pendants. Nötig sind laut Studie weitere Schritte der Hersteller, um die Kosten für Nullemissionsfahrzeuge zu senken – beispielsweise durch schnellere Entwicklungsprozesse und die Nutzung von künstlicher Intelligenz. Die Gesamtbetriebskosten unterscheiden sich je nach Segment und Land zwischen batterieelektrischen und Dieselfahrzeugen jedoch erheblich; Spannweiten von 20% Vorteil für Nullemissionsfahrzeuge bis hin zu 50% Kostennachteil sind möglich. Große Unterschiede gibt es auch zwischen den europäischen Ländern: So liegt der Kostennachteil für elektrische Hub-zu-Hub-Langstreckennutzfahrzeuge in Deutschland gegenüber Diesel bei nur 2%, in Polen dagegen bei 23% - einer Herausforderung vor allem bei grenzüberschreitendem Güterverkehr. Die Umfrage unter Speditionen ergab: Nur 7% der Spediteure würden einen Nullemissionstruck kaufen, wenn die Betriebskosten 20% höher liegen als bei einem Diesel; bei Kostengleichheit steigt dieser Wert allerdings auf 50%. „Dies zeigt, dass die Kunden in der täglichen Nutzung von batterieelektrischen Trucks noch Herausforderungen sehen, zum Beispiel bei der Verfügbarkeit von Ladeinfrastruktur, die für große Lkw zugänglich ist. Zudem sehen wir noch Fragezeichen bei Finanzierungsmöglichkeiten sowie Restwerten“, so Kässer. Der langsame Hochlauf der E-Mobilität eröffnet zudem Möglichkeiten für neue Anbieter aus China, auf den europäischen Markt zu drängen. Laut McKinsey-Analyse könnte ein in Europa hergestellter E-Truck eines chinesischen Anbieters theoretisch bis zu 36% günstiger sein als ein europäisches Pendant. Spediteure sind offen für neue Angebote: 41% geben an, bei gleichen Betriebskosten ein Nutzfahrzeug eines chinesischen Herstellers zu erwägen. „Dieser Kostenvorteil Chinesischer Hersteller entsteht insbesondere durch massive Skaleneffekte und den Zugang zur eigenen Batteriewertschöpfungskette“, sagt Kässer.