Das von der Referatsleiterin skizzierte Vorgehen erweist sich nach unseren Analysen und Erfahrungen als entscheidender Erfolgsfaktor für die dringend notwendige Verwaltungsmodernisierung in Deutschland, wie sie im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung gefordert wird. Der Hauptgrund: Dieses Vorgehen geht gezielt auf die zentrale Herausforderung ein, vor der deutsche Behörden in diesem Modernisierungsprozess stehen.
Die Herausforderung: Deutschlands Behörden brauchen Sprunginnovationen anstelle stufenweiser Verbesserungen
Deutschland steht vor großen Zukunftsaufgaben: Begrenzte Finanzressourcen zwingen Behörden und Politik zu einer noch höheren Effizienz, während globale Krisen – wie die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten – und internationale Handelskonflikte zusätzlich Druck auf Wirtschaft, Gesellschaft und öffentliche Haushalte ausüben. In einer Zeit wachsender Unsicherheiten und knapper Mittel wird die Frage, wie die Handlungsfähigkeit des Staates bewahrt werden kann, zu einem zentralen Thema. Gleichzeitig geraten Deutschlands Behörden durch den demografischen Wandel unter einen Effizienzdruck, der bestehende Strukturen an ihre Belastungsgrenzen führt. Um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden, müssen Verwaltungen produktiver, Prozesse beschleunigt und die Digitalisierung konsequent vorangetrieben werden.
Beim Kernthema Digitalisierung und Technologie besteht allerdings nach wie vor erheblicher Aufholbedarf. Während Automatisierungstechnologien wie generative künstliche Intelligenz weltweit in rasantem Tempo voranschreiten, liegt Deutschland bei digitalen Angeboten für Bürger:innen und Unternehmen weiterhin unter dem EU-Durchschnitt. Lediglich etwa ein Drittel der Bevölkerung ist der Ansicht, dass Deutschland Innovationen effektiv nutzt, um den öffentlichen Sektor leistungsfähiger zu machen. Besonders alarmierend: Nur noch ein Viertel der Deutschen glaubt, dass der Staat in der Lage ist, seine Aufgaben angemessen zu erfüllen und die drängenden Probleme zu lösen. Diese Erosion des Vertrauens in den Staat stellt eine ernsthafte Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Stabilität unseres Landes dar.
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, ist es entscheidend, dass deutsche Behörden ihre Innovationsfähigkeit deutlich steigern. Das bedeutet: Statt der bisher üblichen schrittweisen Optimierung einzelner Bereiche sind umfassende und mutige Veränderungen erforderlich, die schnell zu signifikanten Effizienz- und Effektivitätssteigerungen führen – sogenannte Sprunginnovationen. Dafür braucht es einen radikalen Paradigmenwechsel: den Mut, entschlossen neue Wege zu gehen und sich von überholten Denkmustern zu lösen.
Die Chance: Den Innovationswillen und das Potenzial der Mitarbeitenden freisetzen
Die Mitarbeitenden im öffentlichen Sektor verfügen über einen einzigartigen Schatz an Fähigkeiten und Erfahrungen. Dieser wird durch eine kontinuierlich steigende Qualifikation der Beschäftigten weiter gestärkt: Seit der Jahrtausendwende hat sich beispielsweise der Anteil der Beschäftigten im gehobenen und höheren Dienst auf Bundesebene nahezu verdoppelt. Zudem herrscht unter den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes eine hohe Bereitschaft, Veränderung und Erneuerung durch Digitalisierung sowie flexiblere und agilere Arbeitsweisen aktiv mitzugestalten.6 So gibt nur etwa jeder Zehnte an, im Arbeitsalltag nicht häufiger neue Technologien und Anwendungen nutzen zu wollen, während 70% der Beschäftigten die Digitalisierung als Erleichterung ihrer Arbeit betrachten.
Demzufolge wollen Deutschlands Behörden den Wandel – und sie sind dazu in der Lage. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür lieferte die COVID-19-Pandemie, in deren Verlauf auch die öffentliche Verwaltung gezwungen war, ihren Arbeitsalltag den neuen Gegebenheiten anzupassen. Eine Mehrheit der Mitarbeitenden im öffentlichen Sektor nahm in dieser Zeit eine größere Offenheit für Innovation, eine Stärkung von Eigenverantwortung und eine schnellere Einführung von Neuerungen wahr. Dieses Momentum gilt es nun zu nutzen, um den Innovationswillen der Mitarbeitenden nachhaltig zu entfesseln. Dazu bedarf es mutiger Schritte: Bestehende Strukturen müssen aufgebrochen und neue, zukunftsgerichtete Arbeitsweisen etabliert werden – ohne Angst vor anfänglichen Fehlern. Gleichzeitig sollte der wertvolle Erfahrungsschatz der vielen Mitarbeitenden, die in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen, bewahrt und in die Transformation eingebracht werden.
Die Lösungsmethodik: Innovationslabore als Inkubator neuer Ideen und Wegbereiter des Wandels
Wie kann die Verwaltung effektiver und effizienter zusammenarbeiten, um noch bessere Lösungen für das Land zu entwickeln? Innovationslabore können als Katalysator für Deutschlands Behörden dienen. Sie schaffen ein Umfeld, in dem Mitarbeitende Innovationen identifizieren und mutige Ideen entwickeln können. Dabei handelt es sich um eine Methodik, die Mitarbeitende befähigt, innovative, nutzer- und bedarfsorientierte Lösungen zu erarbeiten. Agile Arbeitsweisen wie Design Thinking stehen dabei im Mittelpunkt. Sie fördern eine Denkweise, die auf Zusammenarbeit, Praktikabilität und Engagement setzt und bieten Raum für Kreativität, Experimentieren und Lernen.
Das Innovationslabor als interner Inkubator neuer Ideen
Das Innovationslabor macht die Ideen der Mitarbeitenden sichtbar und entwickelt sie mithilfe moderner Methoden schnell weiter. Diese Methodik, die auf einem sechsstufigen Prozessbasiert (Abbildung 1), wurde bereits für zahlreiche Anwendungsfälle getestet und kontinuierlich optimiert.
Ausgangspunkt ist eine 360-Grad-Analyse des zugrunde liegenden Problems, bei der die Perspektiven aller relevanten Zielgruppen systematisch einbezogen werden. Die Problemstellungen werden entlang einer Nutzerreise aus der Sicht der Betroffenen präzise beschrieben. Auf dieser Grundlage entsteht mithilfe ausgewählter Kreativmethoden ein breites Spektrum an Lösungsansätzen. Durch eine gezielte Priorisierung wird schließlich ein konsolidierter Ansatz identifiziert, der für die Prototypisierung weiterverfolgt wird.
Der entwickelte Prototyp wird praxisnah getestet, bevor ein Minimalprodukt (MVP) etabliert und schrittweise in den Regelbetrieb überführt (skaliert) wird. Das Innovationslabor stellt hierfür entweder eigene Umsetzungskapazitäten bereit oder übernimmt die Koordination externer Ressourcen. Während des gesamten Prozesses werden interne und externe Stakeholder – darunter Bürger:innen, Wirtschaftsvertreter:innen, Referent:innen, Führungskräfte sowie Vertreter:innen anderer Behörden – aktiv und kontinuierlich eingebunden.
Obwohl die Methoden des Innovationslabors – wie zahlreiche andere agile Vorgehensweisen – ursprünglich aus der Softwareentwicklung stammen, gehen die dort bearbeiteten Themen weit über digitale Produkte hinaus. Das Labor eignet sich ebenso für die Entwicklung interner Prozesse und Regelungsvorhaben, neuer Bürgerangebote und weiterer Themen. Es ermöglicht eine schnelle, zielgerichtete und praxisnahe Erarbeitung von Lösungen, die den Anforderungen einer modernen Verwaltung gerecht werden.
Das Innovationslabor als Wegbereiter agiler Entscheidungsprozesse
Innovationslabore, die allen Mitarbeitenden offenstehen, fungieren als zentraler Treiber für die Innovationskultur in Organisationen, indem sie einen klar strukturierten, vierstufigen Innovationsprozess implementieren (Abbildung 2).
Über eine Crowdsourcing-Plattform können Mitarbeitende ihre Ideen und Projektvorschläge einreichen. Eine Gruppe aus Führungskräften prüft diese Vorschläge anhand vorab definierter Kriterien. Besonders vielversprechende Ansätze werden anschließend vor einem Innovation Board präsentiert, das darüber entscheidet, welche Vorhaben einen Slot für einen Design Sprint im Innovationslabor erhalten.
Doch das Innovationslabor ist weit mehr als ein Raum für Ideenfindung und Experimente. Es verfolgt das Ziel, gemeinsam entwickelte und erfolgreich getestete Ansätze konsequent in die Umsetzung zu bringen. Hierfür wurden beschleunigte Entscheidungs- und Freigabeprozesse etabliert. Ein zentrales Element sind quartalsweise stattfindende Pitch-Veranstaltungen mit der Hausleitung. Dort präsentieren die Mitarbeitenden selbst die Ergebnisse ihrer Design Sprints. Auf dieser Grundlage wird entschieden, welche Projekte in einem Implementation Sprint weiterentwickelt und realisiert werden. Für diese Vorhaben steht ein eigenes Innovationsbudget bereit, das eine zügige Umsetzung ermöglicht.
Mit diesem Ansatz schafft das Innovationslabor nicht nur einen Raum für Kreativität und Problemlösung, sondern bietet der gesamten Organisation die Möglichkeit, praktische Erfahrungen mit agilen Entscheidungsprozessen zu sammeln. Diese Erfahrungen können als Grundlage für weitergehende Prozessreformen dienen und dazu beitragen, Behörden agiler, effizienter und zukunftsfähiger zu gestalten.
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Innovationslabore können Behörden auf die Überholspur der Modernisierung bringen – indem sie beschleunigte Methoden und Prozesse implementieren, die es ermöglichen, Vorhaben schneller zu gestalten und umzusetzen. Gleichzeitig diffundieren die neuen Arbeitsweisen schrittweise durch die gesamte Organisation und regen eine Überarbeitung etablierter Vorgehensweisen und Prozesse an. So wird die Innovationsfähigkeit der Behörde weit über das Labor hinaus gestärkt. Doch wie gelingt dieser „Spurwechsel“? Ein möglicher Ansatz lautet: Zusammen. Einfach. Machen.
Zusammen. Das Innovationslabor sollte als zentrale, abteilungsübergreifende Dienstleistung etabliert werden, die auf einem Netzwerkgedanken basiert. Es gilt, alle Handelnden einzubinden: Mitarbeitende und Führungskräfte aus verschiedenen Abteilungen, die Hausleitung, externe Beteiligte (z.B. aus Wirtschaft und Gesellschaft) sowie Vertreter:innen anderer Behörden. Diese breite Einbindung schafft Akzeptanz und fördert die Zusammenarbeit über organisatorische Grenzen hinweg.
Einfach. Der Erfolg eines Innovationslabors liegt im schnellen Handeln und Lernen durch Ausprobieren – ein Ansatz, der den traditionell stark planungsorientierten Arbeitsweisen in Behörden oft entgegensteht. Damit die beschleunigten Methoden des Labors erfolgreich umgesetzt werden können, ist ein verbindliches Engagement der Führungsebene essenziell. Führungskräfte müssen Mut zur Veränderung zeigen, Risiken akzeptieren und eine positive Fehlerkultur vorleben, um den Wandel glaubwürdig zu unterstützen.
Machen. Das Innovationslabor darf nicht als Randprojekt wahrgenommen werde, sondern muss als zentrales Umsetzungsvehikel für die Modernisierung der Behörde positioniert werden. Dies erfordert eine klare Priorisierung und die Bereitstellung entsprechender Ressourcen. Dazu zählen ein eigenes Innovationsbudget für Umsetzungssprints sowie erfahrene Innovationsexpert:innen, die die Arbeit des Labors in der Anfangsphase professionell begleiten und strukturieren können.
Mit diesem Ansatz wird das Innovationslabor nicht nur zum Motor für konkrete Projekte, sondern auch zum Katalysator für eine umfassende Transformation der Verwaltungsarbeit.
Download Artikel "Zusammen. Einfach. Machen. Mit Innovationslaboren auf die Überholspur der Verwaltungsoptimierung" (inkl. aller Abbildungen und Quellen)
Alle Publikationen der Artikelserie #ZehnMalZukunft über die Zukunft der öffentlichen Verwaltung in Deutschland finden Sie hier: mck.de/zehnmalzukunft
Autor:innen: Julia Klier, Björn Münstermann, Luca Flora, Manuel Schmid, Rebecca Blum und Sven Bottesch