Energiewende-Index von McKinsey: Die unterschätzte Rolle der Bioenergien

Energiewende-Index von McKinsey: Die unterschätzte Rolle der Bioenergien

Nutzung von Endenergie aus Bioenergieträgern kann von 265 TWh auf 320 TWh im Jahr 2030 steigen - Wärme und Verkehr wichtigste Anwendungsfelder - Flächenbedarf, Effizienz, Kosten und Verfügbarkeit bleiben herausfordernd 

 

Mit einem mehr als 50-prozentigen Anteil am erneuerbaren Energiemix ist Bioenergie mit 265 TWh Endenergie derzeit die wichtigste Erneuerbaren-Quelle in Deutschland – und damit ein zentraler Faktor der Energiewende mit aktuell 70 MT CO2-Einsparung jährlich. Vor allem im Wärmesektor und im Verkehr, wo die Energiewende noch stockt, leistet Bioenergie schon heute einen erheblichen Beitrag. In den kommenden Jahren dürfte Bioenergie noch einmal einen Schub erfahren. Mit Ausnahme des Stromsektors wird sich der Einsatz in den übrigen Sektoren intensivieren. Im Jahr 2030 könnten insgesamt rund 320 TWh Endenergie durch Bioenergieträger gedeckt und damit bis zu 85 Mt CO2 pro Jahr vermieden werden. Dies geht aus dem neuen Energiewendeindex der Unternehmensberatung McKinsey & Company hervor.
 
Bioenergien sparen über 70 MT CO2 pro Jahr

„Bleibt es beim aktuellen Trend und dem regulatorischen Rahmen, dürfte die Bedeutung von Bioenerige bis 2030 noch weiter steigen. Das sind gute Neuigkeiten – denn ohne diese Energieträger wären Deutschlands Emissionsziele kaum zu erreichen“, sagt Thomas Vahlenkamp, Senior Partner im Düsseldorfer Büro von McKinsey und Co-Autor des Energiewende-Index.

2022 wurden in Deutschland rund 265 TWh Endenergie durch Bioenergieträger gedeckt – rund ein Zehntel des gesamten deutschen Endenergieverbrauchs von 2.400 TWh. 
Der mit Abstand größte Einsatzbereich ist mit 180 TWh der Wärmesektor. 2022 machten Bioenergien rund 15 % des Verbrauchs im Bereich Wärme (und Kälte) aus. Der am häufigsten eingesetzte Rohstoff ist Holz mit einem Anteil von rund 80 % (140 TWh). Einen Großteil davon nutzen private Haushalte und das Gewerbe in Form von Scheitholz und Holzpellets. Besonders Letztere liegen im Trend: 2023 lag die Zahl der installierten Pelletheizungen bereits bei über 700.000 – ein Zuwachs von 50 % gegenüber 2020. Mit 50 TWh tragen Bioenergien rund ein Fünftel zur Stromproduktion aus Erneuerbaren Energien (EE) in Deutschland bei. Damit machen sie rund 
9% des hiesigen Endstromverbrauchs aus. Der größte Anteil entfällt derzeit auf Biogas, das überwiegend aus Mais- und Gras-Silage gewonnen wird, gefolgt von Getreide und Zuckerrüben. Mit 35 TWh ist der Verkehrssektor bisher zwar der kleinste Einsatzbereich, dennoch stellen Biokraftstoffe hier rund 85 % der erneuerbaren Energien – deutlich mehr als der EE-Strom für Elektrofahrzeuge. Dabei handelt es sich zu fast drei Vierteln um die Beimischung von Biodiesel aus meist Raps-, Palm- oder Sojaöl, zu einem Viertel um Bioethanol als Beimischung zu Benzin aus Getreide oder Zuckerrüben sowie in geringem Umfang um Biomethan. Die Nutzung beschränkt sich derzeit noch fast ausschließlich auf den Straßenverkehr.

320 TWh bis 2030 möglich

In den kommenden Jahren dürfte Bioenergie noch einmal einen Schub erfahren. Mit Ausnahme des Stromsektors, in dem die Verwendung regulatorisch bedingt tendenziell rückläufig ist, wird sich der Einsatz in den übrigen Sektoren intensivieren. Nach unseren Berechnungen könnten im Jahr 2030 insgesamt rund 320 TWh Endenergie durch Bioenergieträger gedeckt werden.

Der Endenergieverbrauch aus Bioenergien im Wärmesektor erhöht sich voraussichtlich von 180 auf 210 TWh. Rund 80 TWh davon entfallen auf Industrieanwendungen. Den größten Anteil macht indessen mit 130 TWh der Verbrauch in Heizungen und Kaminen von Privathaushalten und Gewerbe aus. Und diese setzen immer stärker auf Holzpellets: Bleibt es bei der aktuellen Regulatorik, wird sich der Anlagenbestand von derzeit über 700.000 Pelletheizungen bei gleichbleibender Neuinstallationsrate bis 2030 auf über 1,2 Millionen fast verdoppeln. Neben dem Pellet-Einsatz kommt zunehmend auch Biogas ins Spiel: Da das Gebäudeenergiegesetz vorsieht, neu installierte Heizungen in der Regel zu mindestens zwei Dritteln mit erneuerbaren Energien zu betreiben, müssen bei der Verwendung von Gas vermehrt klimaneutrale Heizmittel zum Einsatz kommen. Da Wasserstoff bis mindestens zum Ende des Jahrzehnts nicht in ausreichendem Maße für Privathaushalte zur Verfügung stehen wird, wird vor allem Biomethan die Lücke füllen. Bei rund 2 Millionen neuen Gasheizungen könnte sich bis 2030 ein Gesamtbedarf von rund 20 TWh ergeben – in etwa das Vierfache dessen, was 2022 verbraucht worden ist.
Im Stromsektor könnte der Einsatz von Bioenergien bei gleichbleibenden Betriebsstunden von 50 auf etwa 40 TWh sinken - denn zahlreiche Bestandsanlagen dürften aufgrund der auslaufenden EEG-Förderung den Betrieb einstellen. 

Der Bioenergieeinsatz im Verkehrssektor wird sich nach unserer Analyse bis 2030 von heute 35 auf rund 70 TWh verdoppeln. Ausschlaggebend sind verschiedene Regulierungen, wie Deutschlands THG-Vorgabe für den Verkehrssektor und die von der EU vorgesehene Mindesteinsatzquote für nachhaltige Kraftstoffe in der Luftfahrt. Es werden vermehrt fortschrittliche Biokraftstoffe zum Einsatz kommen, die fossile Treibstoffe vollständig ersetzen können, z.B. erneuerbarer Diesel und nachhaltiges Kerosin.
Flächenbedarf, Effizienz, Kosten und Verfügbarkeit bleiben herausfordernd

2022 entfielen rund 15 % der landwirtschaftlich genutzten Fläche in Deutschland auf den Anbau von Energiepflanzen: knapp 10% davon für den Strom- und Wärmesektor und etwas mehr als 5 % für den Verkehrssektor. Bis 2030 wird der Flächenbedarf jedoch nur geringfügig weiter zunehmen – selbst im stark wachsenden Verkehrssektor voraussichtlich um nicht einmal 1.000 km2. Der Grund sind gesetzliche Beschränkungen: Würden die bis 2030 hinzukommenden Rohstoffe zweiter Generation durch solche der ersten Generation ersetzt, stiege der Flächenbedarf um weitere 6.000 km2 – das entspricht mehr als der doppelten Fläche des Saarlands. Daher wird der Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen für die Biokraftstoffproduktion weitgehend auf dem Niveau von 2022 verbleiben. Im Gegenzug muss die Nutzung von Rohstoffen der zweiten Generation, die keine zusätzlichen Flächen benötigen, überproportional ansteigen.

Flächeneffizienz. Neben dem reinen Platzbedarf ist die Flächennutzung auch unter Effizienzaspekten umstritten – vor allem in der Stromproduktion: Nach einer Analyse des Umweltbundesamts kann eine Solar-Neuanlage auf der gleichen Fläche 40-mal mehr Strom produzieren als eine mit Mais betriebene Biogasanlage. 
Kosten. In fast allen Sektoren ist Bioenergie teurer als konventionelle. Doch je nach eingesetztem Rohstoff gibt es teils signifikante Unterschiede.
Verfügbarkeit. Bislang werden in Deutschland weniger als 2 % aller Bioenergieträger importiert. Im Verkehrssektor allerdings könnte sich der Anteil der importierten Rohstoffe deutlich erhöhen, wenn künftig vermehrt Rohstoffe der zweiten Generation zum Einsatz kommen sollen. Zwar stehen einige davon (z.B. Stroh) in Deutschland ausreichend zur Verfügung, aber ihre Herstellverfahren sind komplex und die Kapazitäten begrenzt. Andere Rohstoffe (z.B. Ausfluss von Palmölmühlen) lassen sich einfacher umwandeln, sind jedoch hierzulande nur begrenzt verfügbar. Daher wird Deutschland, so wie andere Länder in Europa auch, vermehrt auf Einfuhren angewiesen sein: Nach unseren Schätzungen könnten 2030 europaweit mehr als die Hälfte der Rohstoffe zweiter Generation zur Produktion von Biokraftstoff aus Importen stammen.

Energiewende-Index März 2024: Die 15 Indikatoren im Überblick

Die insgesamt 15 Indikatoren im Energiewendeindex zeigen gegenüber der Veröffentlichung von September 2023 leichte Verbesserungen: Für mittlerweile acht von ihnen – zwei mehr als in der letzten Erhebung – ist die Zielerreichung realistisch. 

Acht Indikatoren mit realistischer Zielerreichung

Der Primärenergieverbrauch liegt nach erster Hochrechnung für 2023 bei 10.791 PJ und damit rund 9 % unter dem Vorjahr. Hauptgründe sind Produktionsrückgänge in der Industrie, steigende Energieeffizienz und weniger Stromerzeugung in Deutschland (-11 % gegenüber 2022). Die Zielerreichung steigt von 83 auf 106 % und wechselt damit in die Kategorie „realistisch“. 

Der EE-Anteil am Bruttostromverbrauch ist über das Gesamtjahr 2023 um viereinhalb Prozentpunkte auf 50,6 % gestiegen. Hauptreiber war neben vermehrter Stromerzeugung aus Erneuerbaren (+5 %) der Rückgang des Stromverbrauchs um 4 % im Zuge der Energiekrise. Die Zielerreichung des Indikators beträgt 109 %.

Der Industriestrompreis, der im Vergleich zur europäischen Preisentwicklung gemessen wird, verschlechtert sich 2023 leicht. Ursache hierfür ist, dass die Preise im Ausland mit -21 % zuletzt deutlich stärker gesunken sind als in Deutschland (-11 %). Trotzdem beträgt die Zielerreichung des Indikators immer noch 172 %. Der gute Wert liegt in der Berechnungsmethodik begründet: Steigen die Preise im europäischen Ausland stärker als in Deutschland, verbessert sich der Indikator.

Der deutsche Haushaltsstrompreis lag im vergangenen Dezember 27,2 % über dem europäischen Durchschnitt und somit nur noch knapp über dem Zielwert von 25,5 % – ein halbes Jahr zuvor waren es noch 31 %. Die Zielerreichung des Indikators verbessert sich von 78 auf 93 % und steigt damit in die Kategorie „realistisch“ auf.

Der Indikator verfügbare Kapazität für Import aus Nachbarländern verbessert sich auf jetzt 27,1 %. Hauptgrund ist die leicht gestiegene Interkonnektorkapazität für Importe aus Dänemark. Mit einem Wert von 208 % ist der Indikator weiterhin stabil realistisch in seiner Zielerreichung.

Der Indikator Ausfall Stromversorgung verbessert sich leicht. Aktuell beträgt das Blackout-Risiko pro Anschlusspunkt 12,2 Minuten (Vorhalbjahr 12,7), die Zielerreichung liegt bei 113 %.

Zum Indikator Arbeitsplätze in erneuerbaren Energien liegen neue Daten für das Jahr 2022 vor – mit positivem Trend: Gegenüber 2021 stieg die Zahl der Jobs im EE-Sektor um rund 50.000 auf jetzt 387.700. Der Stellenaufbau fand vor allem in den Bereichen Umweltwärme und Solarenergie statt – getrieben durch die starke Nachfrage nach Wärmepumpen (+61 % gegenüber 2021) und Solaranlagen (+26 %). Der Indikator verbessert sich dadurch von 105 % auf 120 %.
Für den Indikator EE-Anteil am Bruttoendenergieverbrauch wurden keine neuen Werte veröffentlicht. Er verbleibt daher in seiner bisherigen Kategorie der stabil realistischen Zielerreichung.

Zielerreichung für fünf Indikatoren unrealistisch

Der Indikator Sektorkopplung Verkehr verschlechtert sich um einen Prozentpunkt auf 43 %. Im Oktober 2023 fuhren in Deutschland 2,2 Mio. Elektrofahrzeuge – nach den Zielen der Bundesregierung hätten es (linear interpoliert) 4,9 Millionen sein sollen. 

Die Kosten für Netzeingriffe sind von 24 auf knapp 17 €/MWh gesunken, aber immer noch weit von den angestrebten 1 €/MWh entfernt. Und die Chancen des Indikators, aus seiner 0-prozentigen Zielerreichung aufzusteigen, stehen weiterhin schlecht: Im ersten Halbjahr 2023 ist das Redispatchvolumen gegenüber dem Vergleichszeitraum nochmals um 35 % auf fast 18.000 TWh gestiegen. 

Auch der Ausbau der Transportnetze bleibt mit einem aktuellen Zielerreichungsgrad von 40 % weit hinter seinen Zielen zurück: Im der ersten Jahreshälfte 2023 wurden 128 km zugebaut – rund 600 km pro Halbjahr wären aktuell notwendig für die Zielerreichung. Die Gesamtlänge beträgt jetzt 2.586 km und damit weniger als die Hälfte der angestrebten 6.014 km – trotz gesetzlich beschleunigter Genehmigungsverfahren. 

Bei den Gesamtenergiekosten Haushalte hat das statistische Bundesamt eine neue Wägung eingeführt, wonach der Anteil der Energiekosten am Warenkorb der Verbraucher – bei gleichen Preisen – um knapp 25 % geringer ist als vorher. Damit passt sich auch die Zielerreichung an. Der Indikator steigt in seiner Zielerreichung auf 51 %, bleibt aber stabil unrealistisch.

Für den Indikator Sektorkopplung Wärme wurden keine neuen Daten veröffentlicht. Die Zielerreichung beträgt somit weiterhin 64 %.

Zwei Indikatoren auf der Kippe

Der CO2e-Ausstoß sinkt um 73 Mt auf 673 Mt. Ursächlich hierfür ist neben schwacher Konjunktur auch die geringere Kohleverstromung (-30% gegenüber 2022). Allerdings dürfte der Emissionsrückgang nur vorübergehend sein, hauptsächlich getrieben durch die hohen Energiepreise. Nach Berechnungen von Agora Energiewende sind lediglich etwa 15 % der CO2-Einsparungen im Jahr 2023 auf langfristige Effekte zurückzuführen. Daher befindet sich der Indikator trotz einer Zielerreichung von 95 % weiterhin auf der Kippe.

Die gesicherte Reservemarge befindet sich aktuell ebenfalls im realistischen Bereich der Zielerreichung und steigt sogar noch einmal leicht von 5,2 % auf 5,6 %. Grund hierfür ist der Zubau von 1,4 GW Gaskraftwerken, während im gleichen Zeitraum 2023 weniger als 200 MW aus der Kohleverstromung vom Netz gingen. Doch die geplante Stilllegung von weiteren Kohlekraftwerken könnte die Reservemarge noch in diesem Jahr drastisch verschlechtern, daher bleibt der Indikator vorerst auf der Kippe. 

Hintergrund und Methodik

Der Energiewende-Index von McKinsey bietet alle sechs Monate einen Überblick über den Status der Energiewende in Deutschland. Feedback und Rückmeldung dazu sind ausdrücklich erwünscht. Einen detaillierten Überblick über den Index und die untersuchten Indikatoren finden Sie unter https://www.mckinsey.de/energiewendeindex